In Österreich ist die Trainingstherapie ein staatlich anerkanntes Berufsbild, das eine akademische Ausbildung auf Masterniveau an einer Universität erfordert. Die Trainingstherapie ist jedoch nicht in den Leistungskatalogen der Gesundheits- und Krankenkassen enthalten und wird somit nicht als gesundheitsdienstliche Leistung für Patient:innen erstattet.
Dieses Positionspapier fasst zunächst Belege für die wissenschaftlich unstrittige Bedeutung der Trainingstherapie in unterschiedlichen Gebieten der Medizin zusammen, um die Relevanz für die optimale medizinische Versorgung von Patient:innen aufzuzeigen. Weiter wird darüber informiert, welche Fähigkeiten und Kompetenzen die angehenden Trainingstherapeut:innen während ihres Studiums der Sportwissenschaft an den vier staatlichen Universitäten in Österreich erwerben. Dadurch wird die Notwendigkeit argumentiert, Trainingstherapie als gesundheitsdienstliche Leistung für Patient:innen bereitzustellen. Zusätzlich wird für die gesetzliche Gleichstellung von Trainingstherapeut:innen plädiert, die evidenzbasierte Behandlungsmethoden anbieten.
In zahlreichen Studien wird belegt, dass die Trainingstherapie bei Erkrankungen des Bewegungs- und Stützapparates, bei inneren Erkrankungen, neurologischen, psychiatrischen und psychosomatischen Erkrankungen eindeutig zu Verbesserungen führt. Trainingstherapie ist ein im hohen Maß evidenzbasierter, nebenwirkungsarmer Bestandteil der leitlinienkonformen Prävention und Rehabilitation nahezu aller chronischen Erkrankungen. Sie wirkt sich positiv auf die Pathogenese, die Symptome, die Fitness, die Lebensqualität, sowie die Morbidität und Mortalität der betroffenen Patient:innen aus.
Die fünfjährige akademische Ausbildung in der Sportwissenschaft enthält vertiefte medizinische, trainingstheoretische, trainingspraktische, kommunikationsrelevante, sport-, und bewegungsbezogene Kenntnisse sowie eine fundierte Ausbildung in wissenschaftlichen Methoden.
Daher ist die Einbindung trainingstherapeutischer Maßnahmen ins Leistungsangebot der Gesundheits- und Krankenkassen aus medizinischer, gesellschaftlicher und auch wirtschaftlicher Perspektive in hohem Maße indiziert. Zusätzlich wird ein neuer rechtlicher Rahmen benötigt, der die Selbstständigkeitsregelung für Trainingstherapeut:innen vorsieht.
Trainingstherapie, gesundheitsdienstliche Leistung, gesetzliche Gleichstellung, Positionierung
Die hohe Prävalenz von chronischen Erkrankungen in allen medizinischen Fachbereichen unterstreicht die systemische Notwendigkeit des langfristigen Einsatzes von wirksamen Maßnahmen in der Prävention und Rehabilitation dieser Erkrankungen im Gesundheitswesen. Die Trainingstherapie ist ein im hohen Maß evidenzbasierter, nebenwirkungsarmer Bestandteil der leitlinienkonformen Prävention und Rehabilitation von nahezu allen chronischen Erkrankungen. Sie wirkt sich positiv auf die Pathogenese, die Symptome, die Fitness, die Lebensqualität, sowie die Morbidität und Mortalität der betroffenen Patient:innen aus. Nicht zuletzt aufgrund der hohen Prävalenz von chronischen Erkrankungen, die durch körperliche Inaktivität zum Teil oder auch ganz verursacht werden und die durch körperliches Training teils oder gar vollständig therapiert werden können, haben Staaten wie Australien, Kanada und Neuseeland die Trainingstherapie bereits erfolgreich in ihr Gesundheitssystem integriert. In Österreich fehlt nach wie vor die Integration der Trainingstherapie als Angebot einer gesundheitsdienstlichen Leistung von Gesundheits- und Krankenkassen in der Patient:innenversorgung. Dies impliziert den Vorbehalt einer nachweislich gesundheitswirksamen Therapieleistung.
Zusätzlich einschränkend für die Inanspruchnahme der Trainingstherapie als gesundheitswirksame Leistung ist die gesetzliche Verankerung von Trainingstherapeut:innen, die trotz hoher akademischer Qualifikation nur unter Aufsicht und in einem Angestelltenverhältnis arbeiten dürfen. Dies ist im Vergleich zu Absolvent:innen der medizinisch-technischen Dienste (MTD-Berufe) eine deutliche Ungleichbehandlung bei zumindest gleicher oder höherer Formalqualifikation.
Aus diesem Grund forderten die Vorstände der Institute für Sportwissenschaft, die Österreichische Sportwissenschaftliche Gesellschaft und der Berufsverband Sportwissenschaften den Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung, sowie den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Ende des Jahres 2023 schriftlich auf, der gesetzlichen Ungleichbehandlung von Universitätsabsolvent:innen der Studiengänge Sportwissenschaft mit dem Schwerpunkt Trainingstherapie gegenüber Absolvent:innen der MTD-Berufe entgegenzuwirken. Die Ungleichbehandlung ergibt sich aufgrund des im 3. Hauptstück des medizinischen Assistenzberufe (MAB)- Gesetzes angeführten § 27. Punkt (2), in dem die Trainingstherapie als „Ergänzung“ zu den sog. „Hilfsdiensten” angeführt wird (Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, 2012). Somit werden die hochqualifizierten, universitär ausgebildeten Trainingstherapeut:innen in ein Anstellungsverhältnis unter Aufsichtspflicht durch Ärzt:innen oder nach ärztlicher Maßgabe auch durch Physiotherapeut:innen gestellt. Eine unselbstständige Tätigkeit unter Aufsicht auszuführen entspricht nicht dem akademischen Ausbildungsstand. Denn zur generellen Akkreditierung als Trainingstherapeut:in müssen Anwärter:innen eine:n Magister:Magistra oder Masterabschluss im Studienzweig Sportwissenschaft mit dem Schwerpunkt Trainingstherapie vorweisen können. Die Dauer der Studienzeit beträgt mindestens 5 Jahre. Die Gesetzgebung ermöglicht zwar neben der generellen Akkreditierung auch eine sog. individuelle Akkreditierung, bei der zusätzlich zum abgeschlossenen Bachelorstudium alle im MAB-Gesetz vorgeschriebenen Inhalte eingereicht werden müssen. Auch in diesem Fall wird jedoch das übliche Maß eines Bachelorstudiums übertroffen, da viele der Inhalte zur Trainingstherapie in den Masterstudiengängen Sportwissenschaft angeboten werden. Im Gegensatz dazu können Absolvent:innen von MTD-Berufen mit einem drei-jährigen Bachelorstudium abschließen und dürfen danach sowohl in Anstellung als auch selbstständig tätig werden. Dies stellt eine deutliche Ungleichbehandlung bei höherer Formalqualifikation dar.
Mit dem Positionspapier wird daher das Ziel verfolgt,
die wissenschaftlichen Belege über die Wirksamkeit der Trainingstherapie für eine optimale medizinische Versorgung der Patient:innen aufzuzeigen.
die in ihrer akademischen Ausbildung erworbenen Fähigkeiten und Kompetenzen der Trainingstherapeut:innen in Österreich darzulegen und
als Konsequenz aus therapeutischer Indikation einerseits und der fachspezifischen trainingstherapeutischen Ausbildung andererseits, die Forderung abzuleiten, dass Trainingstherapie als Behandlungsmethode anerkannt wird. Zusätzlich dazu bedarf es einer gesetzliche Gleichstellung von Trainingstherapeut:innen innerhalb der Gesundheitsberufe, in denen evidenzbasierte Behandlungsmethoden angeboten werden.
Im ersten Teil des Positionspapiers wird der Mehrwert der Trainingstherapie für das Gesundheitswesen dargestellt. Anhand von wissenschaftlichen Publikationen wird die Effektivität der Trainingstherapie bei Erkrankungen des Bewegungs- und Stützapparates, bei inneren Erkrankungen, neurologischen, psychiatrischen und psychosomatischen Erkrankungen aufgezeigt. In einem weiteren Kapitel werden der akademische Wissens- und Kompetenzerwerb in den verschiedenen Anwendungsbereichen der Trainingstherapie präsentiert und es werden praxisrelevante Neuheiten und Besonderheiten der theoriegeleiteten Trainingstherapie vorgestellt. Abgeschlossen wird das Positionspapier mit Aspekten über die ökonomische Relevanz der Trainingstherapie, sowie einer Zusammenfassung und Positionierung.
Trainingstherapie ist ein komplexer Handlungsprozess. Dabei wird das Ziel verfolgt, unter Anwendung von strukturierten körperlichen Übungen und geeigneten Methoden planmäßig und zielorientiert in Prävention und Rehabilitation auf die Entstehung bzw. den Verlauf von chronischen Erkrankungen einzuwirken. Als Folge werden die Symptome, die körperliche Leistungsfähigkeit, die Lebensqualität, sowie die Morbidität und Mortalität positiv beeinflusst (Hofmann u. a., 2009).
Im Management von chronischen Erkrankungen wurde die Trainingstherapie in Staaten wie Australien, Kanada, Neuseeland und dem Vereinigten Königreich über akkreditierte Trainingstherapeut:innen bereits im Sinne von “Exercise is Medicine” (Gillis u. a., 2021) eingesetzt und erfolgreich in das Gesundheitssystem integriert (Canadian Society for Exercise Physiology (CSEP), 2022; Exercise and Sports Science Australia, 2022; Saynor & Shepherd, 2022; The Physiological Society, 2021; University of Auckland, 2022).
Auf europäischer Ebene ist der Einsatz und die Verankerung von Trainingstherapeut:innen (Exercise Therapists, Clinical Exercise Physiologists, Accredited Exercise Physiologists) noch nicht Standard und wird in den einzelnen Ländern unterschiedlich gehandhabt (Carrard u. a., 2023). Die sportwissenschaftlichen Vertretungen von Universitäten in Spanien, Schweden, Italien, Belgien, Norwegen, Dänemark Deutschland und der Schweiz sprechen sich für die Etablierung einer Trainingstherapie-Lizenz aus (Carrard u. a., 2023; Pascual, 2019).
Seit Mitte der 1980er Jahre wurden Sportwissenschafter:innen in Österreich im stationären Rehabilitationsbereich beschäftigt und aufgrund des hohen Bedarfs seit Anfang 2000 auch im ambulanten Rehabilitationsbereich (Leischik u. a., 2005). Erst 2012 wurde eine rechtliche Grundlage für die Tätigkeit als Trainingstherapeut:in erstellt. Seither können sich Sportwissenschafter:innen als Trainingstherapeut:innen per Gesetz vom Bundesministerium akkreditieren lassen und diesen Beruf ausüben, jedoch lediglich im Angestelltenverhältnis. Aktuell sind knapp 1000 Trainingstherapeut:innen vom Bundesministerium in Österreich akkreditiert. Sie arbeiten in ambulanten und stationären Rehabilitationseinrichtungen, Arztpraxen oder Kur- und Gesundheitszentren eng mit fachverwandten Berufsgruppen zusammen.
Obwohl die Trainingstherapie in aktuellen nationalen und internationalen Behandlungsrichtlinien mit höchstem Evidenzgrad für eine Vielzahl von Erkrankungen fest verankert ist, wird ihre systemische Notwendigkeit im Gesundheitswesen und somit in der rehabilitativen und präventiven Praxis nicht ausreichend gedeckt (Kujala, 2009; Pedersen & Saltin, 2015). Um die systemische Notwendigkeit zu untermauern, werden im Folgenden die Stärken der Evidenz für die Erkrankungen des Bewegungs- und Stützapparates, für innere Erkrankungen sowie für neurologische und psychiatrische Erkrankungen zusammengefasst.
Eine Indikation zur Behandlung und Rehabilitation von Erkrankungen und Verletzungen des Bewegungs- und Stützapparates liegt bei chronischen Entzündungen, stoffwechselbedingten und degenerativen muskuloskelettalen Krankheiten, bei erworbenen Krankheiten durch Fehlbildung oder Dysfunktion der Bewegungsorgane oder bei Folgen von Verletzungen vor (Reiter u. a., 2020). Die Trainingstherapie ist aktuell bereits ein wesentlicher Bestandteil der rehabilitativen Behandlung dieser Erkrankungen und ist aufgrund eindeutiger wissenschaftlicher Befunde in den Leistungskatalogen der nationalen Versicherungsanstalten für orthopädische Rehabilitation verankert. Die Trainingstherapie ist jedoch nicht in den Katalog der Krankenbehandlung der österreichischen Krankenversicherungen aufgenommen (Reiter u. a., 2020). Betrachtet man internationale Leitlinien, so wird die Trainingstherapie beispielsweise vom National Institute for Health and Care Excellence nicht nur als zentraler Bestandteil der Rehabilitation von traumatologischen und orthopädischen Erkrankungen, sondern auch als zentraler Bestandteil der Krankenbehandlung angeführt (British Orthopaedic Association, 2024; Izquierdo u. a., 2021). Spezifische Trainings- und Übungsprogramme für die jeweiligen Krankheitsbilder sind in diesen Empfehlungen verankert, basierend auf wissenschaftlichen Evidenzen. Zum Beispiel zeigt eine Literaturübersichtsarbeit von Hughes u. a. (2017) im British Journal of Sports Medicine, dass Training mit geringer Belastung und Blutflussbeschränkung nach vorderer Kreuzbandplastik, Knieosteoarthritis sowie bei älteren Erwachsenen mit Sarkopenie effektiver ist als Training mit geringer Belastung allein. Dadurch stellt Training mit Blutflussbeschränkung ein wirksames klinisches Rehabilitationswerkzeug für das muskuloskelettale System dar (Hughes et al., 2017). Eine aktuelle Übersichtsarbeit von Conley u. a. (2023) bestätigt neuerlich auch bei Osteoarthritis die hohe Qualität eines interdisziplinären Behandlungsansatzes, mit Bewegung als zentrales Element. Dies gilt ebenfalls für Osteoporose, rheumatische Arthritis, Rückenschmerz sowie Knie- und Hüftarthrose u.v.a.m. (Conley u. a., 2023; Pesare u. a., 2023; Sattler u. a., 2023; Young u. a., 2023).
Körperliches Training ist in der Therapie von chronischen Erkrankungen der inneren Organe wie zum Beispiel des Herzkreislaufsystems, Diabetes, Lungen- oder Krebserkrankungen, Fettleber und Adipositas ein nicht-medikamentöses Therapeutikum mit der höchsten wissenschaftlichen Evidenzklasse Ia (Keating u. a., 2023; Lee u. a., 2012; Stine u. a., 2023).
Besonders bei Erkrankungen des Herzkreislaufsystems wirkt sich adäquat angepasstes und strukturiertes körperliches Training nachweislich positiv auf den Herzmuskel (Hambrecht u. a., 1995), die Koronargefäße (Niebauer u. a., 1995, 1997) und die Skelettmuskulatur aus (Adams u. a., 2017) und verringert, bei richtiger Dosierung, den Schweregrad der Erkrankung. Die am besten dokumentierte Trainingsmodalität ist das kontinuierliche Ausdauertraining (continuous endurance training, CET). CET verbessert zuverlässig und reproduzierbar die maximale Arbeitskapazität und hat sich als wirksam bei der Reduzierung der kardialen sowie der Gesamtmortalität erwiesen (Adams u. a., 2017). Bei Patient:innen mit stabiler koronarer Herzkrankheit verbesserten bereits drei 1-stündige Einheiten mit CET bei Intensitäten von etwa 75-80% der maximalen Herzfrequenz über einen Zeitraum von 6 Wochen die maximale Arbeitskapazität um 21% (Tschentscher u. a., 2016). Eine weitere häufig angewendete Trainingsmethode ist das High Intensity Interval Training (HIIT), das sich durch intermittierende Anstrengungsperioden und aktiven Erholungsperioden kennzeichnet (z.B. 4x 4 Minuten Intervalle bei 90 bis 95% der maximalen Herzfrequenz mit 3 Minuten aktiven Erholungsphasen bei 70% der maximalen Herzfrequenz, Protokoll nach Helgerud u. a. (2007)). Dies wurde bei Patient:innen mit stabiler koronarer Herzkrankheit, sowie chronischer Herzinsuffizienz erfolgreich eingesetzt, um z.B. eine Verbesserung der maximalen Sauerstoffaufnahmekapazität zu erzielen (Wisløff u. a., 2007). Auch das Krafttraining ist eine bedeutende Trainingsmethode, die in Kombination mit aerobem Training die Muskelkraft, die körperliche Leistungsfähigkeit und die Mobilität von Patient:innen mit koronarer Herzkrankheit verbesserte (Yamamoto u. a., 2016). Weiter wird durch die Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit auch die Lebensqualität der Patient:innen erhöht (Anderson u. a., 2016; Dibben u. a., 2023; Reich u. a., 2020). Infolgedessen wird bei kardiovaskulären Erkrankungen im Anschluss an den Aufenthalt im Akutspital ein trainingszentriertes Rehabilitationsprogramm als empfohlene Standardtherapie mit Evidenzgrad Ia durchgeführt (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften, 2020; Arnett u. a., 2019; Pelliccia u. a., 2021; Virani u. a., 2023).
Zur Prävention und Therapie von Diabetes mellitus (Typ II) wird körperliches Training als zentrales Element vom American College of Sports Medicine sowie der American Diabetes Association bereits 2010 in einem Positionspapier angeführt, weil es das Ausbrechen der Erkrankung verhindern kann oder zumindest verzögert (Colberg u. a., 2010). In der aktuellen Richtlinie der European Society of Cardiology zum Management von kardiovaskulären Erkrankungen bei Patient:innen mit Diabetes mellitus wird die Bedeutung eines strukturell durchgeführten körperlichen Trainings ebenfalls mit einer Ia Evidenz bewertet (Marx u. a., 2023). Diese Richtlinien beinhalten die Empfehlung eines mindestens zweimal wöchentlichen Krafttrainings bei einer Intensität von 60 bis 80% des Einwiederholungsmaximums. Das strukturierte Ausdauertraining wird auch zweimal wöchentlich empfohlen. Die Intensität hierfür wird anhand individueller Marker bei einer Spiroergometrie ermittelt (Marx u. a., 2023). Auch das HIIT Training zeigte sich als effektive Alternative zu traditionellen Ausdauerprogrammen mit positivem Effekt auf die kardiopulmonale Fitness und die Körperzusammensetzung bei Personen mit Adipositas (Türk u. a., 2017).
Körperliches Training zeigt in der Therapie von pulmonalen Erkrankungen eine Verbesserung der Lungenfunktion, der funktionellen Kapazität, eine Senkung der Symptome (Neunhäuserer u. a., 2016, 2021) sowie der Angst und Depression (Blackstock u. a., 2018). Im Detail zeigten zum Beispiel Neunhäuserer u. a. (2021), dass sich ein 12 wöchiges HIIT am Fahrrad (Dauer: 31 Minuten) kombiniert mit Krafttraining (8 Kraftübungen an Geräten zu je 8 bis 15 Wiederholungen) drei mal pro Woche positiv auf die Belastungstoleranz und das Atemgasaustauschverhältnis von Patient:innen mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung auswirkte. Laut der American Thoracic Society ist körperliches Training der Kern in der Rehabilitation und wesentlicher Teil der Behandlung pulmologischer Erkrankungen (Holland u. a., 2021).
Die Bedeutung des körperlichen Trainings nimmt ebenfalls in der Onkologie einen immer wichtigeren Stellenwert in der Rehabilitation und auch als Begleittherapie zu einer Chemotherapie, z.B. zur Reduktion von Nebenwirkungen, ein (Mayr u. a., 2022; Stout u. a., 2021; Westphal u. a., 2018). Aktuelle Positionspapiere aus Australien, den USA und anderen Ländern belegen die Bedeutung und den steigenden Stellenwert von körperlichem Training im Rahmen der Therapie, in der Nachsorge, aber auch in der palliativen Versorgung dieser Erkrankungen (Hayes u. a., 2019; Parke u. a., 2022; Pollán u. a., 2020).
Eine interdisziplinäre medizinische Therapie ohne körperliches Training entspricht explizit nicht mehr den gängigen nationalen (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften, 2020; Bergler-Klein u. a., 2022; Österreichische Diabetes Gesellschaft, 2023) und internationalen Behandlungsleitlinien (Marx u. a., 2023; Pelliccia u. a., 2021) oder Positionspapieren (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften, 2020; Virani u. a., 2023). Wenn Gesundheits- und Krankenversicherungen eine mit höchster Evidenzklasse bewertete Therapieform nicht in ihren Servicekatalogen enthalten, verweigern sie die Vergütung einer Behandlungsmethode. Diese Auslassung könnte potenziell zu einer beschleunigten Krankheitsprogression und einer erhöhten Morbidität und Mortalität bei Patient:innen führen. Hier wird Patient:innen sehenden Auges eine mit höchster Evidenzklasse bewertete Therapieform vorenthalten und eine Verschlechterung vom Krankheitsverlauf einschließlich erhöhter Morbidität und Mortalität billigend in Kauf genommen, was formal einem medizinischen Behandlungsfehler entsprechen würde.
Ebenso im Bereich neurologischer Erkrankungen führten umfassende wissenschaftliche Erkenntnisse zur Entwicklung von Leitlinien für das Bewegungstraining von Menschen mit Schlaganfall, Multipler Sklerose oder Morbus Parkinson (Kim & Kastner, 2019; Lai u. a., 2017). In diesen Leitlinien werden verschiedene Kombinationen von Ausdauer- und Krafttraining empfohlen, die als normative Grundlage für die Trainingstherapie dienen, um neurologisch induzierte motorische Funktionsstörungen zu behandeln.
Bei Patient:innen nach einem Schlaganfall trägt aufgabenorientiertes körperliches Training erheblich zur Wiederherstellung der körperlichen Funktionen bei. Weitere wirksame Maßnahmen sind Widerstandsübungen, aerobe Aktivitäten (wie Laufbandtraining und Armergometer), robotergestützte Therapie und kombinierte funktionelle Widerstands- und aerobe Übungen (K. E. Lee u. a., 2022; Saunders u. a., 2020).
Bei Menschen mit Multipler Sklerose bestätigte eine kürzlich publizierte systematische Übersichtsarbeit von Andreu-Caravaca u. a. (2023), dass Krafttrainingsprogramme nicht nur die Kraft und die funktionelle Kapazität, sondern auch das Gleichgewicht und das chronische Erschöpfungssyndrom signifikant verbessern. Außerdem erzielten sensomotorisches Training und Ausdauertraining den größten Effekt auf die gesamte gesundheitsbezogene Lebensqualität von Menschen mit Multipler Sklerose (Reina-Gutiérrez u. a., 2022). Bewegung zeigte sich nicht nur als sicher und wirksam für die Verbesserung der motorischen Funktion, sondern hat auch eine positiv krankheitsmodifizierende Wirkung bei Menschen mit Multipler Sklerose (Dalgas u. a., 2019).
Krafttraining zeigte auch bei Patient:innen mit Parkinson-Krankheit eine äußerst positive Wirkung auf die Muskelkraft, die funktionelle Mobilität und die Lebensqualität. Ausdauertraining zeigte eine signifikant positive Wirkung auf die kardiorespiratorische Fitness und die funktionelle Kapazität (Gamborg u. a., 2022). Alternative Bewegungsformen erwiesen sich ebenso als wirkungsvolle Trainingstherapie bei Morbus Parkinson: So wurden Verbesserungen bei der Unified Parkinson’s Disease Rating Scale, bei Depression und Lebensqualität durch verschiedene Trainingsformen festgestellt. Diese Trainingsformen umfassen Qigong als aerobe Trainingsform, Tai Chi als Gleichgewichtstraining, schnelles Radfahren mit geringem Widerstand und Training im Wasser (Ernst u. a., 2023; Wu u. a., 2017).
Aufgrund der wissenschaftlichen Datenlage ist die Trainingstherapie wirksamer Ansatz zur Bewältigung der Folgen von Multipler Sklerose, Schlaganfall oder Morbus Parkinson, womit die Trainingstherapie als Rehabilitationsmethode zunehmend an Bedeutung gewinnt. Zu den allgemeinen positiven Effekten gehören die Steigerung der physischen Leistungsfähigkeit, und die Verbesserung der Symptome Müdigkeit, Depression und Lebensqualität (Lai u. a., 2017; Motl u. a., 2017; Motl & Pilutti, 2012).
Die therapeutische Wirksamkeit von Bewegung und gezielter körperlicher Aktivität bei psychiatrischen Erkrankungen wurde in den letzten Jahren zunehmend belegt. Aktuelle Übersichtsarbeiten und Positionspapiere (Stubbs u. a., 2018) zeigten auf, dass positive Effekte für ein breites Spektrum von psychiatrischen Störungen zu erwarten sind, u.a. bei Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (Dastamooz u. a., 2023; Neudecker u. a., 2019; Sun u. a., 2022), psychotischen Störungen (Shimada u. a., 2022), Suizidalität (Neunhäuserer u. a., 2013) und Substanzmissbrauch (Wang u. a., 2014). Insbesondere zeigten sich diese Effekte bei psychosomatischen Krankheitsbildern, v.a. Angst- und Depressionsstörungen (Björkman & Ekblom, 2022; Blumenthal & Rozanski, 2023; Heissel u. a., 2023; Singh u. a., 2023; Wanjau u. a., 2023).
Laut Schuch & Stubbs (2019) und weiteren Autor:innengruppen reduzierte tägliche Bewegung das Risiko einer schweren Depression (Knapen u. a., 2015). Die Weltgesundheitsorganisation hob die Wichtigkeit von körperlicher Aktivität im Umgang mit, sowie in der Prävention von Depression hervor. Dabei gelten die allgemeinen globalen Bewegungsempfehlungen (World Health Organization, 2017). Die sich abzeichnenden Erkenntnisse führten auch zu einer neu vorgeschlagenen Subspezialität, der sog. "Lifestyle-Psychiatrie" (S. 51), bei der körperliches Training als Zusatztherapie für Patient:innen mit schwerer Depression eingesetzt wird (Blumenthal & Rozanski, 2023).
Neben anderen Therapieformen wird die Sport- und Bewegungstherapie im österreichischen S3-Behandlungsleitlinienkatalog für Angststörungen sowie für Depression als Zusatztherapie angeführt (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften, 2014). Nicht nur eine ausdauerbezogene körperliche Aktivität hat einen positiven Effekt auf Angst- und Depressionsstörungen, sondern auch ein koordinationszentriertes Krafttraining, denn laut O’Sullivan et al., 2023 wies z.B. ein 8-wöchiges koordinationszentriertes Krafttraining eine antidepressive Wirkung bei jungen Erwachsenen auf.
In den deutschsprachigen Kompendien wurde bereits in den 2010er Jahren ein Grundstock für die systematische Einbindung der Trainingstherapie in die Behandlung psychischer Erkrankungen gelegt (Broocks, 2010; Hölter, 2011; Markser & Bär, 2015). Die seither wachsende Zahl empirischer Belege für die Wirksamkeit von körperlicher Aktivität unterstreicht die Bedeutsamkeit trainingstherapeutischer Ansätze im Bereich der Psychiatrie und Psychosomatik (Blumenthal & Rozanski, 2023).
Die umfangreiche wissenschaftliche Evidenz unterstützt die Wirksamkeit der Trainingstherapie für mindestens 26 chronische Krankheiten in verschiedenen medizinischen Disziplinen (Pedersen & Saltin, 2015). Dies untermauert die Notwendigkeit der strukturellen Implementierung der Trainingstherapie im Gesundheitssystem. Derzeit ist dies unzureichend, insbesondere in Österreich, weil die Trainingstherapie nicht in den Gesundheitsdienstleistungen der Gesundheits- und Krankenversicherung enthalten ist. Somit wird der Bevölkerung eine nachweislich wirksame gesundheitsorientierte therapeutische Dienstleistung vorenthalten. Ein Therapieprozess, der von akademisch ausgebildeten und staatlich anerkannten Trainingstherapeut:innen geleitet wird, würde die höchste Wahrscheinlichkeit für langfristigen therapeutischen Erfolg und die Förderung von Motivation zur körperlichen Aktivität bei Patient:innen bieten (Dean u. a., 2021; Hrkać u. a., 2022).
Die Ausbildung zum:zur Trainingstherapeut:in ist Teil der Bachelor- (BA) und Masterstudiengänge (MA) der Sportwissenschaft, die an allen vier sportwissenschaftlichen Instituten der staatlichen Universitäten Österreichs, nämlich in Graz, Innsbruck, Salzburg und Wien angeboten werden (Weiss u. a., 2023). In den sportwissenschaftlichen Curricula aller Universitäten wird die theoretische Mindestanforderung, die im §30 der Trainingstherapie-Ausbildungsverordnung des MAB-Gesetzes für das Berufsbild Trainingstherapie festgelegt ist, übertroffen (Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, 2012). Die gesetzliche Mindestanforderung spiegelt dabei nicht die fachliche Breite und Vielfalt der Sportwissenschaft wider, die die Absolvent:innen mit in die Praxis bringen, obwohl die Trainingstherapie in der Rehabilitation und Prävention wesentlich davon lebt. In Tabelle 1 werden die gesetzlichen Mindestanforderungen der Trainingstherapieausbildungsverordnung (TT-AV), das Trainingstherapie-spezifische Lehrangebot sowie das vielfältige Lehrangebot der Universitäten, in dem die Trainingstherapie eingebettet ist, dargestellt. Im Rahmen der Trainingstherapiemodule in den Lehrplänen sind grundlegende Kenntnisse über Krankheitsbilder, klinische Aspekte, die Diagnose und die Standardtherapie von Erkrankungen sowie Effekte von Trainingstherapie eingebettet. Basierend auf diesem Wissen werden die entsprechenden Trainingstherapien in ihrer Wirkung auf die Pathogenese, die Symptome, die Fitness und die Lebensqualität nach Pedersen & Saltin (2015) vermittelt, ebenso wie Inhalte der Trainingstherapieplanung, technische Geräte, Hilfsmittel und Unterstützung/Lagerung. Die umfangreiche allgemeine praktische Ausbildung im Bereich der Sportarten und der Sportpraxis v.a. in den BA-Studiengängen der Sportwissenschaft ist noch zusätzlich anzuführen.
ECTS | TT-AV* | GRAZ | INNS | SLBG | WIEN |
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Theoretische Grundlagen verankert in Pflichtmodulen |
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| |
Anatomie & Physiologie | 16.0 | 16.0 | 22.0 | 18.0 | 19.0 |
Bewegungslehre & Trainingslehre | 16.0 | 23.0 | 23.5 | 25.0 | 20.0 |
Krankheitsbilder und Trainingstherapien1 | 20.0 | 20.0 | 24.0 | 21.0 | 25.0 |
Berufsspezifische Rechtsgrundlagen2 | 3.0 | 3.0 | 5.0 | 3.0 | 3.0 |
Erste Hilfe und Hygiene | 3.0 | 3.5 | 4.5 | 3.0 | 3.0 |
Kommunikation und Motivation3 | 3.0 | 3.0 | 3.0 | 6.0 | 6.0 |
Gesamt | 61.0 | 68.5 | 82.0 | 76.0 | 76.0 |
Zusätzliches Lehrangebot in der Trainingstherapie |
|
|
|
| |
Aktuelle Forschung & Leistungsdiagnostik in der Trainingstherapie |
| 7.5 |
|
| |
Theoriegeleiteter Fertigkeitserwerb Trainingstherapie |
|
| 5.0 |
|
|
Spezialisierungsmodul Trainingstherapie und Public Health |
| 31.0 |
|
|
|
Therapie von Sportverletzungen |
|
|
| 2.0 |
|
Spezielle Aspekte der TT in Orthopädie/innere Medizin/Neurologie |
|
|
| 6.0 |
|
Masterseminar Trainingstherapie |
|
|
| 5.0 |
|
Gesundheitsförderung, Prävention, Rehabilitation und Fitness |
|
|
| 20.0 | |
Gesamt |
| 31.0 | 12.5 | 13.0 | 20.0 |
Zusätzliche Pflichtmodule des sportwissenschaftlichen Lehrangebots |
|
|
|
|
|
Bewegungswissenschaft und Biomechanik |
| 25.5 | 28.0 | 27.0 | 31.0 |
Trainingswissenschaft |
| 24.5 | 26.5 | 23.0 | 22.0 |
Empirische Methoden (z.B. Statistik, Messmethoden) |
| 25.0 | 27.0 | 25.0 | 29.0 |
Psychosoziale Grundlagen, Sportpädagogik |
| 31.5 | 30.5 | 26.5 | 18.0 |
Gesamt |
| 106.5 | 112.0 | 101.5 | 100.0 |
Die Tabelle basiert auf einer Verallgemeinerung der BA und MA Curricula der Sportwissenschaft in Österreich. INNS = Innsbruck, SLBG = Salzburg, ECTS = European Credit Transfer System; 1 ECTS entspricht einem durchschnittlichen Arbeitsaufwand von 25 Stunden.
*gesetzliche Mindestanforderung der Trainingstherapieausbildungsverordnung (TT-AV) gemäß BGBI. II nr. 460/ 2012
1Pathophysiologien, klinische Aspekte, Diagnosen und Standardbehandlungen sowie Effekte von Trainingstherapie in den Fachgebieten innere Erkrankungen, Erkrankungen des Bewegungs- und Stützapparats, Neurologie/Psychiatrie/Psychosomatik; Indikationen und Kontraindikationen im Zusammenhang mit verschiedenen Krankheitsbildern, sowie die entsprechenden Trainingstherapien (Trainingstherapieziele, Trainingstherapieplanung, Geräte, Hilfsmittel, Unterstützung/Lagerung) innerhalb dieser medizinischen Fachbereiche
2Berufe und Einrichtungen im Gesundheitswesen (Fokus: im Bereich der Trainingstherapie tätige Gesundheitsberufe und für Trainingstherapie relevante Einrichtungen)
3Fokus: Patient:innen, Angehörige, interdisziplinäres Team
Das praktische Stundenausmaß im Bereich der Trainingstherapie ist in Form von Berufspraktika in Kranken- , Rehabilitations- und Gesundheitseinrichtungen in allen Fachbereichen (innere Erkrankungen, Bewegungsund Stützapparat und Neurologie/Psychiatrie/Psychosomatik) zu absolvieren. Dabei wird das vom Ministerium vorgegebene Stundenausmaß (325 Stunden entspricht 13 ECTS) in den Pflicht- und Wahlmodulkatalogen aller Universitäten überschritten. Für die Berufspraktika bestehen Kooperationsverträge zwischen den Universitäten und verschiedenen Krankenanstalten, Versicherungsträgern und Klinikverbünden in den einzelnen Bundesländern Österreichs, die weiter aktualisiert und ausgebaut werden. Jede Universität verfügt momentan über mindestens 15 entsprechende Kooperationsverträge (siehe Supplement).
Tabelle 1 zeigt, dass das MAB-Gesetz die universitäre Ausbildung, die der Trainingstherapie zugrunde liegt, nicht adäquat widerspiegelt. Dies trägt dazu bei, dass der akademische Stellenwert des Berufsbilds Trainingstherapie diskreditiert wird. Die Konsequenz daraus ist eine unzureichende Anerkennung Sportwissenschafter:innen in der Trainingstherapie.
Die Vorenthaltung der Trainingstherapie als gesundheitswirksame Therapieleistung für Patient:innen im Gesundheitswesen inkludiert auch den Vorbehalt gegenüber den Kompetenzen des auszuführenden Fachpersonals. Absolvent:innen der BA- und MA-Curricula der Sportwissenschaft haben Kompetenzen in verschiedenen gesundheitswirksamen Bereichen, die als Basis für die trainingstherapeutische Arbeit in einer Krankenanstalt zu werten sind. Im Folgenden werden diese Kompetenzen näher beschrieben.
Absolvent:innen eignen sich im Rahmen ihrer Ausbildung theoretisch und praktisch didaktisches und pädagogisches Grundwissen an. Weiter gibt es spezielle Lehrveranstaltungen in denen es darum geht, Einzel- und Gruppentherapien zu konzipieren, anzuleiten und weiterzuentwickeln. Die Absolvent:innen werden auch geschult, Informations- und Beratungsprozesse zu führen. Außerdem verfügen die Absolvent:innen über kommunikative Kompetenzen zur Förderung der Motivation und Compliance von Patient:innen und deren Begleitpersonen. Die kommunikativen Fähigkeiten und die fachliche Kompetenz der Trainingstherapeut:innen komplementieren in einem interdisziplinären Team die Fähigkeiten der Ärzt:innen, Physiotherapeut:innen, Ergotherapeut:innen, Pflegekräften o.ä. und führen zu besserem Erfolg (Karl-Franzens-Universität Graz, 2013; Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, 2019; Paris Lodron-Universität Salzburg, 2022; Universität Wien, 2014).
Durch spezifisches interdisziplinäres Wissen und eigenpraktisches Können sind die Absolvent:innen der Sportwissenschaft in der Lage, geeignete didaktische Zugänge für Patient:innen zu finden und auch an Multiplikator:innen zu vermitteln. Es besteht eine breite Bewegungserfahrung und Technikkompetenz in allen Grundsportarten sowie das fundierte Wissen über korrekte Bewegungsausführungen der sportpraktischen Basisausbildung in den Bachelorstudiengängen der Sportwissenschaft (Karl-Franzens-Universität Graz, 2017; Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, 2021; Paris Lodron-Universität Salzburg, 2022a; Universität Wien, 2020). Dies ist vor allem für eine professionelle Anleitung von Bewegungsausführungen in der Trainingstherapie essenziell.
Absolvent:innen haben fundierte Kenntnisse in den Methoden der empirischen Forschung, v.a. im Bereich sportwissenschaftlicher Messverfahren, die in den Fachgebieten Physiologie, Biomechanik, Psychologie, Pädagogik und den Trainingswissenschaften angewendet werden. Dies umfasst zum Beispiel trainingstherapeutische Belastungsuntersuchungen (Leistungsphysiologie), leistungsdiagnostische motorische Verfahren (Trainings-, Bewegungswissenschaft), 3D-Bewegungsanalysen (Biomechanik) oder psychophysiologische Diagnostik. Zusätzlich können Trainingstherapien als Interventionen gestaltet werden, die in einem diagnostischen Rahmen eingebettet auch als Forschungsprojekte durchgeführt werden können. Solche Forschungsprojekte im Bereich der Trainingstherapie können eigenständig durchgeführt werden und Anwendungen werden weiterentwickelt bzw. Therapiekonzepte evaluiert (Masterstudiengänge Sportwissenschaft der Universitäten Graz, Innsbruck, Salzburg & Wien). Die forschungsgeleitete Ausbildung inkludiert auch rehabilitations- und präventionsmedizinische Konzepte im Bereich der Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention.
Im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Ausbildung lernen Trainingstherapeut:innen wie Daten gesammelt, aufbereitet, analysiert und verwaltet werden. Dies spiegelt sich vor allem in den Masterarbeiten wider, die in den Universitätsbibliotheken nachlesbar publiziert werden. Im Rahmen einer Forschungsprojektkooperation mit Krankenanstalten werden bereits seit längerer Zeit Themen für Masterarbeiten fachspezifisch bearbeitet. Immer wieder erfüllen Qualifikationsarbeiten auch die Anforderungen für eine internationale, begutachtete Veröffentlichung in wissenschaftlichen Zeitschriften. So sind seit 2012 unter den Stichwörtern “sports science AND Austria AND exercise AND therapy” insgesamt 614 Einträge auf der Forschungsplattform PubMed zu finden.
Absolvent:innen verfügen auf Grundlage ihres physiologischen, bewegungswissenschaftlichen, biomechanischen, sportpsychologischen und -pädagogischen Fachwissens über die Fähigkeit, nach ärztlicher Maßgabe bestehende Diagnostikkonzepte anzuwenden und geeignete Diagnostikkonzepte zu entwickeln. Die im Begleittext zum MAB-Gesetz geregelte Anwendung dieser Diagnostikkonzepte (z.B. klinische Bewegungs- und Belastungsdiagnostik) basiert auf Grundlage eines ethischen Verantwortungsbewusstseins (laut §27 des MAB-Gesetzes (Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, 2012)).
Der Transfer von wissenschaftlich fundiertem Wissen in die Praxis ist die Grundlage der Trainingstherapie als Behandlungsleistung. Ein Ergebnis sind bekannte und gut erprobte sportwissenschaftliche Messverfahren wie zum Beispiel nicht-invasive oder minimal-invasive leistungsdiagnostische Belastungsuntersuchungen im Bereich der Herzkreislauf- und Lungenerkrankungen (z. B. Spirometrien, Ergometrien oder Ergospirometrien ggf. mit Laktatmessung), die nach ärztlicher Anordnung und unter ärztlicher Aufsicht durchgeführt werden (Wonisch u. a., 2008). Der anwendungsbezogene Bereich der Trainingswissenschaft bietet die Optimierung von Trainingsbelastungen und eine adäquate trainingsmethodische Umsetzung, zum Beispiel im Intervalltraining (Tschakert & Hofmann, 2013). Im Bereich Erkrankungen des Bewegungs- und Stützapparates sowie in der Neurologie werden moderne 3D-Bewegungsanalysesysteme (e.g., Motion Capturing Systems) zur Bewegungsdiagnostik angewendet, um das Gangbild zu analysieren und Trainingstherapien anzupassen (Lam u. a., 2023). Nicht nur die professionelle Durchführung dieser nicht- bzw. minimal-invasiven diagnostischen Standardverfahren, sondern auch die anwendungsbezogene Interpretation der Ergebnisse nach aktuellem trainingswissenschaftlichen Stand können für einen optimierten Genesungsprozess der Patient:innen genutzt werden (Wonisch u. a., 2008).
Neben der Anwendung bereits bestehender diagnostischer und trainingsmethodischer Verfahren ist auch die Entwicklung von neuen Messverfahren und deren Validierung im klinischen Umfeld möglich. Die umfangreiche Kenntnis der aktuellen wissenschaftlichen Literatur und die Fähigkeit des Transferdenkens sind dafür notwendig und erlauben Lücken im Diagnostik- oder Arbeitsprozess zu erkennen. Als Folge werden neue Therapiemethoden oder methodische Verfahren geschaffen, die den klinischen Arbeitsalltag fachübergreifend erleichtern und effizienter gestalten. Kompetenzen wie Datenerhebung, Datenmanagement und Datenauswertung bzw. die Anwendung verschiedener aktueller Programme (z.B.: MatLab, IBM SPSS Statistic, oder die Hauptkomponentenanalyse) sind hierfür elementar und in der universitären Ausbildung der Sportwissenschaft umfangreich verankert.
Die kritische Betrachtung und Beurteilung von aktuellen Trends und Entwicklungen (z.B. Umgang mit Fitnesstrackern, Smartwatches, Smartphones) kann von Sportwissenschafter:innen in der Trainingstherapie außerdem genutzt werden, um ein nachhaltiges Bewusstsein für ein gesundheitsorientiertes Bewegungsverhalten von Patient:innen zu etablieren.
Wesentliche neue Erkenntnisse, die in der trainingstherapeutischen Praxis Anwendung finden, wurden von den Erfahrungen der Trainingswissenschaften abgeleitet. Aktuell werden sowohl in der Praxis als auch in wissenschaftlichen Studien nicht-lineare Trainingspläne untersucht, die das aus dem Sport abgeleitete Periodisierungssystem ergänzen und vielleicht sogar ersetzen könnte (Hofmann u. a., 2009; Kiesl u. a., 2022). So kann man zum Beispiel ein vierwöchiges Rehabilitationstraining in vier Mikrozyklen mit einem Einarbeitungszyklus, zwei Belastungszyklen und einem Regenerations-Stabilisationszyklus festlegen, wobei die Belastung jeweils individuell (nach der ärztlichen Freigabe) über die Intensität, die Dauer, die Häufigkeit und die Art der Belastung, sowie des Timings der jeweiligen Belastungen nach dem sog. F.I.T.T. (T.) Prinzip (Frequency, Intensity, Time, Type, Timing) festgelegt wird (Ammann u. a., 2014; Baschung Pfister u. a., 2015; Bland u. a., 2021; Lemos u. a., 2020; Neil-Sztramko u. a., 2019). Bereits 2009 wurden Grundprinzipien einer therapeutischen Trainingslehre publiziert, die kontinuierlich weiterentwickelt werden (Hofmann u. a., 2009).
In Österreich fehlen exakte, öffentlich zugängliche Daten zur nationalen Kostenbilanzierung von Rehabilitationsmaßnahmen. Das liegt in erster Linie an den nicht oder sehr eingeschränkt zugänglichen Daten der Sozialversicherungsträger. Obwohl die Heterogenität der trainingstherapeutischen Anwendungsbereiche die exakte Kostenbilanzierung der trainingstherapeutischen Arbeit von Sportwissenschafter:innen in Österreich erschwert, ist für einzelne Krankheitsbilder bekannt, dass durch Prävention und/oder Rehabilitation immense Kosten eingespart werden könnten (Mayer u. a., 2017, 2020). So wird zum Beispiel im österreichischen Diabetesbericht von 2017 dargelegt, dass die Behandlung von Diabetes mit 1.7 Milliarden Euro pro Jahr ca. 5% der Gesundheitsausgaben ausmacht und dass diese Kosten aus demographischen Gründen weiter steigen werden (Schmutterer u. a., 2017). Daher rufen Expert:innen zur Kostendämpfung durch die Forcierung von Maßnahmen auf, die Spätkomplikationen reduzieren. Verbesserungsvorschläge in der Diabetes-Versorgung bestehen zum Beispiel in der Ausweitung von “Therapie Aktiv” und der Erweiterung der Diabetes-Schulung um ein Bewegungsmodul. Teil des Bewegungsmoduls ist die Erstellung von Trainingsplänen für Patient:innen unter Berücksichtigung der Angebote von Vereinen, Fitness-Center, Selbsthilfegruppen o.ä. Dies sind Maßnahmen, die von Trainingstherapeut:innen aufgrund ihrer Formalqualifkation jederzeit sofort übernommen werden könnten (Schmutterer u. a., 2017).
Internationale Publikationen belegen eine positive Kostenbilanzierung. In einer Metaanalyse von Dibben u. a. (2023) wurde von akzeptablen bis sehr guten 9.200 - 42.535 USD pro quality adjusted life year an Einsparung durch kardiale Rehabilitation berichtet. Oldridge & Taylor (2020) zeigen eine starke Evidenz für die Kosteneffektivität supervidierter Trainingstherapie und auch Shields u. a. (2023) sehen Evidenz für die Kosteneffizienz von Trainingstherapie bei Patient:innen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Turner-Stokes u. a. (2016) berichten von sehr deutlicher Evidenz für die Kosteneffektivität der Trainingstherapie bei neurologischen Erkrankungen, bei denen sich die Rehabilitationsmaßnahme z.B. bei stark beeinträchtigten Patient:innen bereits nach 14,2 Monaten „rechnet“.
Bei der ökonomischen Bilanzierung der Trainingstherapie in Österreich zeigt sich ein starkes Transparenzdefizit. Wäre diese Transparenz gegeben, bestünde eine bessere Verhandlungsbasis gegenüber den Versicherungsgesellschaften, wenn es um die Etablierung von Trainingstherapie als gesundheitswirksame, patient:innenorientierte und abrechenbare Leistung geht. Darüber hinaus könnten die Tarifverträge für die finanzielle Vergütung von Sportwissenschafter:innen in der Trainingstherapie auf eine solidere Grundlage gestellt werden. Auf diese Weise könnte vermieden werden, dass kurzfristigen wirtschaftlichen Gewinnen Vorrang vor Leistungen eingeräumt wird, die nachhaltiger, wirksamer und letztlich langfristig kostengünstiger sind.
In dem aktuellen Positionspapier wird belegt, dass es eine breite Basis an wissenschaftlichen Nachweisen für die Wirksamkeit der Trainingstherapie gibt und dass die Trainingstherapie in der präventiven und rehabilitativen Praxis durch mehrjährig universitär ausgebildete Sportwissenschafter:innen erfolgreich ausgeübt wird. Trotzdem wird einer Mehrheit von Patient:innen im österreichischen Gesundheitswesen die nachweislich wirksame Trainingstherapie vorenthalten, eine Therapie, die evidenzbasiert bei 26 chronischen Erkrankungen die Pathogenese (nicht in allen Fällen), die Symptome, die Fitness und die Lebensqualität der Patient:innen positiv beeinflussen kann und zu einem längeren Leben mit mehr Lebensqualität führt.
Aus diesem Grund vertreten wir folgende Positionen:
Die Notwendigkeit ist eindeutig belegt, dass die Trainingstherapie als eigenständige, abrechenbare Behandlung von den österreichischen Gesundheits- und Krankenkassen übernommen wird und nach ärztlicher Anordnung von Sportwissenschafter:innen als selbstständig tätige Trainingstherapeut:innen durchgeführt und abgerechnet werden kann.
Dies erfordert eine Änderung der gesetzlichen Verankerung, um die gesetzliche Ungleichbehandlung von Universitätsabsolvent:innen der Studiengänge Sportwissenschaft mit dem Schwerpunkt Trainingstherapie im Vergleich zu Absolvent:innen von MTD-Berufen aufzuheben.
Editor-in-Chief:
Claudio R. Nigg, University of Bern, Switzerland
Die Autoren geben keine Förderung oder Unterstützung an.
Die Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.
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